Wie zuverlässig sind die Blutwerte?
Gesund trotz schlechter Blutwerte?
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Stimmen bei einem Automotor die Abgaswerte nicht, ist etwas mit dem Motor nicht in Ordnung. Liegen bei einem Patienten hingegen Blutwerte außerhalb des Normbereiches, muss er deswegen noch lange nicht krank sein. Zum einen funktioniert der Mensch nicht wie eine Maschine und kann trotz abstruser Blutwerte kerngesund sein, zum anderen gibt es jede Menge Fehlerquellen von der falschen Blutentnahme über unsachgemäßen Transport bis zur fehlerhaften Interpretation.
Trügerische Blutwerte: Menschen sind keine Maschinen
Es gibt nichts, was es nicht gibt. Diese Erfahrungen machen viele Mediziner erst nach dem Studium, wenn sie sich in der Praxis mit Patienten und ihren Gebrechen konfrontiert sehen. Nicht immer sieht alles aus wie im Lehrbuch – Blutwerte sind eines der besten Beispiele.
Nehmen wir beispielsweise den Blutzuckerwert. Referenzbereich: unter 125 mg/dl? Ich selbst habe schon Patienten erlebt, die mit über 600 mg/dl Blutglukose putzmunter herumliefen und auf ihren maßlos erhöhten Blutwert nur durch eine Routinemessung aufmerksam wurden. Andere fühlen sich bereits bei Werten unter 200 mg/dl unwohl und drohen ins diabetische Koma zu fallen.
Anderes Beispiel: Das Prostata-spezifische Antigen PSA dient als gewebsspezifischer Marker der Vorsteherdrüse und ist bei der bei älteren Männern häufigen gutartigen Prostatavergrößerung (benignen Prostatahyperplasie), aber auch bei Prostatakrebs erhöht.
Ein Freund von mir, jüngeren Alters und damit einer Prostatahyperplasie unverdächtig, hatte bei wiederholten Untersuchungen des PSA-Wertes ständig Laborergebnisse jenseits von Gut und Böse. Den (erfolglosen) Gang zum Proktologen hätte er sich ersparen können, wenn man ihn darauf aufmerksam gemacht hätte, dass erhöhte PSA-Werte bei militanten Radfahrern wie ihm nichts Ungewöhnliches sind.
Das Wichtigste auf einen Blick!
- Für alle Blutwerte gibt es Normbereiche oder Referenzbereiche, die als „normal“ gelten.
- Allerdings gelten diese nur für einen Bevölkerungsdurchschnitt, sodass Abweichungen nicht zwangsläufig auf Erkrankungen schließen lassen.
- Davon abgesehen gibt es jede Menge Fehlermöglichkeiten, die Blutwerte verändern, von persönlichen Faktoren beim Patienten über falsche Blutentnahme, zu lange Transport- und Lagerzeiten und vor allem falsche Interpretation durch den Arzt.
- Wichtige Einflussfaktoren sind unter anderem Alter und Geschlecht, aber auch Rasse und klimatische Bedingungen.
- Trotz alledem liefern die Blutwerte wichtige Anhaltspunkte bei der Diagnose von Krankheiten und lassen sich zudem schnell und einfach bestimmen.
Sinn und Unsinn von Normwerten und Referenzbereichen
Bei Blutwerten werden Sie desöfteren feststellen, dass die angegebenen Normwerte und Referenzbereiche von Labor zu Labor unterschiedlich angegeben werden. Überhaupt sind die korrekten Referenzwerte ständiger Streitpunkt unter Labormedizinern und werden ständig angepasst und verändert.
Der Grund dafür: Referenzbereiche spiegeln nur das wider, was bei rund 95 Prozent der gesunden Bevölkerung „normal“ und damit „gesund“ ist. Gegebenenfalls gehören Sie zu den glücklichen restlichen fünf Prozent, auf die das nicht zutrifft. Fünf Prozent: Das ist immerhin jeder Zwanzigste!
Zudem darf man nicht vergessen, dass auch Alter, Geschlecht, Hautfarbe und gegebenenfalls das Klima die Blutwerte beeinflussen.
Fehlerhafte Blutwerte
Auch wenn die Labordiagnostik aus zahlreichen Routinen besteht, kann es immer wieder mal zu Fehlern kommen.
- Hauptfehlerquelle ist ein Patient, der nicht nüchtern zur Blutentnahme kommt. Morgens erst einmal ein schönes Rührei mit Speck und eine Cola dazu, und hinterher sind im Blutbild Cholesterin und Blutzucker an der Decke?
- Bei der Blutentnahme kommt es auf die Dauer der venösen Stauung, die korrekte Entnahme ohne zuviel Aspiration und die Einhaltung der Volumenober- und -untergrenze an. Ebenso müssen Zusätze wie EDTA und Citrat richtig untergemischt werden.
- Die Kühlkette muss eingehalten werden, bis die Röhrchen im Analyzer landen.
- Einige Blutwerte können nur innerhalb eines bestimmten Zeitraumes ab Blutentnahme korrekt gemessen werden.
Blutwerte – alles Quatsch?
Beileibe nicht. An irgend etwas muss man sich in der Medizin orientieren und letztlich kommt es niemals auf einen einzelnen gemessenen Blutwert an, selbst wenn dieser korrekt gemessen wurde.
Letzten Endes sollte jede Diagnose erst in der Zusammenschau aller weiteren Blutwerte und zusammen mit den sonstigen Befunden aus körperlicher Untersuchung, medizinischer Vorgeschichte des Patienten, bildgebenden Verfahren und gegebenenfalls hinzukommenden Befunden gestellt werden.
Die Blutwerte sind schnell und einfach zu bestimmen – die Krankenkassen zahlen pro kleinem Blutbild nur Beträge weit unter einem Euro. Ihr diagnostischer Wert ist unschätzbar, wenn man sie nur richtig zu interpretieren und zu ergänzen weiß.
Quellen, Links und weiterführende Literatur
- Wolfgang Piper: Innere Medizin. 2. Auflage. Stuttgart 2012: Springer-Verlag. ISBN-10: 3642331076.
- Gerd Herold: Innere Medizin. Köln 2019: G. Herold Verlag. ISBN-10: 3981466063.
- BASICS Klinische Chemie: Laborwerte in der klinischen Praxis. 3. Auflage.München 2019: Elsevier/Urban & Fischer-Verlag. ISBN-10: 3437422588. kov:
- Klaus Dörner: Taschenlehrbuch Klinische Chemie und Hämatologie. 8. Auflage.Stuttgart 2019: Georg Thieme-Verlag. ISBN-10: 3131297182.
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